Zum Hintergrund: "Der Ausbau der Gastronomie- und Veranstaltungsbetriebe sorgt in Dagobertshausen seit Jahren für Streit. Nun hat die Stadtverwaltung das neueste Projekt genehmigt: Den Umbau des Hofs Mengel zu einem Landhotel. Die Stadtteilinitiative und der Ortsbeirat finden das Vorhaben 'überdimensioniert'“. (OP vom 19.05.2021, S. 3)

 

https://www.op-marburg.de/Marburg/Stadt-genehmigt-umstrittenes-Landhotel-im-Hof-Mengel-in-Dagobertshausen

Dagobertshäuser/innen legen Widerspruch  gegen die Genehmigung des Bauantrags Mengelhof ein

Widerspruch nach §§ 68 I 1, 40 I VwGO

gegen die Genehmigung des Bauantrags: Sanierung, Umbau und Umnutzung Gesamtanlage Hof Mengel Im Dorfe 7 (BTB 327/2019) Mengelhof Neubau

Bauherr: Andreas Pohl

Antragsdatum: 27. September 2019

Genehmigt durch die Stadt Marburg (Fachbereich: Planen, Bauen, Umwelt) mit Bescheid vom 30.03.2021

 

HAUPTARGUMENTE DES WIDERSPRUCHS

  1. Der Hotelkomplex stellt eine unrechtmäßige strukturelle Veränderung des Stadtteils Dagobertshausen dar. Auch insofern ist die in der Baugenehmigung getroffene Ermessensbeurteilung der zuständigen Baubehörde, wonach die in Rede stehende Baumaßnahme zu keiner unzumutbaren Belastung der Einwohnerschaft von Dagobertshausen führe, nicht nachvollziehbar, zumal diese nicht ansatzweise begründet wurde.
  2. Durch die seit dem Jahr 2010 nach und nach in verschiedenen Tranchen erteilten unterschiedlichen Baugenehmigungen bzgl. des Gesamtareals ist ein großflächig ausgedehnter, aus unterschiedlichen Eventeinrichtungen bestehender Gesamtbetrieb in Dagobertshausen entstanden, der, wäre er sogleich mit einer Gesamtgenehmigung beantragt worden, niemals hätte genehmigt werden können und dürfen.
  3. Die baulichen und sonstigen Anlagen sind unzulässig, weil sie nach Anzahl, Lage, Umfang und Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Das Gebot der Rücksichtnahme, welches Bestandteil des Begriffs des „Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung“ nach § 34 Abs. 1 BauGB ist, ist verletzt. 
  4. Eine sachgerechte Berücksichtigung der Interessen aller Planbetroffenen (inklusive der Einwohnerschaft von Dagobertshausen) durch die Gesamtanlage der örtlichen „Freizeitindustrie“ im Ortsteil Dagobertshausen vermittels eines gebietsübergreifenden Bauleitplans hat nicht stattgefunden. Die Stadt Marburg hätte anstelle von Einzelbaugenehmigungen stillschweigend die sukzessive Umwandlung eines bis dato durch klare Nutzungen geprägten Ortsteils (Dorfgebiet und Wohngebiet) in Freizeitindustrie-Gebiet zuzulassen den gesetzmäßigen Weg eines Planaufstellungsverfahrens im Sinne der § 1 ff. BauGB wählen müssen.
  5. Eine Auseinandersetzung mit den ablehnenden Gründen des OBR zu dem im Rede stehenden Bauprojekt seitens der Baubehörde hat nicht stattgefunden, dies wäre jedoch Voraussetzung für die von der Baubehörde getroffene Verwaltungsentscheidung.
  6. Die erteilte Baugenehmigung ist nach Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung unbestimmt und damit unzulässig.
  7. Die zugelassene vollständige Umstrukturierung des Ortsteils Dagobertshausen verstößt  gegen die Ziele der Raumordnung. Der Regionalplan Mittelhessen setzt für den Bereich Dagobertshausen ausschließlich Vorranggebiete für Landwirtschaft und Forstwirtschaft sowie im Bereich des Wohngebiets ein Vorranggebiet Siedlung fest.
  8. Unbekannt ist auch der Sachstand zur von sachkundigen Anwohnern beschriebenen denkmalschutzrechtlichen Situation: In einem Gewölbekeller auf dem Areal des Mengelhofes befindet sich in Richtung Hof ein zugemauertes Tor. Es werde angenommen, das Gewölbe setze sich in dieser Richtung fort und münde in einen Gang, der unterhalb der Ruine des Herrenhauses auf der gegenüberliegenden Seite der Straße „Im Dorfe“ ende.

Stadt hilft dem Widerspruch gegen den Hotelkomplex Mengelhof nicht ab

 Die Gründe

  1. Gebietserhaltungsanspruch
  2. Gebot der Rücksichtnahme
  3. Verpflichtung zur Bauleitplanung des Dorfkerns
  4. Verstoß gegen Ziele der Raumordnung
  5. Unbestimmtheit der Baugenehmigung zur künftigen Nutzung des Hotelkomplexes
  6. Nicht ordnungsgemäße Beteiligung des Ortsbeirats (OBR) im Baugenehmigungsverfahren

 

Der Widerspruch gegen die Baugenehmigung ist zulässig aber nicht begründet. Die Widersrpuchsführer sind nicht in ihren Rechten verletzt, die Baugenehmigung verstöst nicht gegen nachbarschützende Vorschriften.

 

Zu 1: Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gebietserhaltungsanspruch liegt nicht vor

 

Das Vorhabengrundstück befindet sich außerhalb des Geltungsbereichs eines Bebauungsplans, insofern gilt § 34BauGB, wonach ein Vorhaben innerhalb bebauter Ortsteile zulässig ist, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung … in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt… .

Ein Nachbar (Widerspruchsführer), dessen Grundstück innerhalb eines angrenzenden Planungsgebietes liegt, hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Schutz vor gebietsfremder Nutzung im angrenzenden faktischen Planungsgebiet. Die angrenzenden Bebauungsplangebiete bilden nicht die nähere Umgebung für das streitgegenständliche Vorhabengrundstück (Mengelhof).

Obschon das maßgebliche Gebiet (Innenbereich Dagobertshausen) mit der Nutzungsänderung des Hofs Mengel zum Hotel einen landwirtschaftlichen Betrieb verliert, verbleiben mit den nach wie vor vorhandenen Hofstellen weitere landwirtschaftliche Betriebe, die die nähere Umgebung weiterhin als Dorfgebiet prägen. Daran ändern auch die bereits zuvor im Innenbereich umgenutzten Liegenschaften (Hof Scherer etc.) nichts.

 

Zu 2: Die Widerspruchsführer werden durch die Baugenehmigung auch nicht in dem aus § 15 Abs. 1 S. 1 und S.2 BauNVO hergeleiteten nachbarschützenden Gebot der Rücksichtnahme verletzt

 

Entgegen der Auffassung der Widerspruchsführer liegt kein Widerspruch zu der Eigenart oder der Zweckbestimmung des Baugebiets durch das streitgegenständliche Vorhaben vor, weil es sich bei dem Hotel mit Tagungsräumen um die einzige Einrichtung dieser Art im Ort handelt (Das auf dem angrenzenden Hofgut Dagobertshausen angrenzende „Schlafgut“ steht nur in Verbindung mit Veranstaltungen auf dem Hofgut zur Verfügung und zählt daher nicht als Einrichtung dieser Art)

 

Da das Vorhaben im faktischen Dorfgebiet allgemein zulässig ist, ist ein Widerspruch zur Zweckbestimmung dieser Einrichtung ebenfalls nicht begründet.

Für sich allein betrachtet sind die geplanten hotel- bzw. konferenzmäßigen Einrichtungen (28 Zimmer, 5 Konferenzräume, Küche, Wintergarten etc.) auch nicht überdimensioniert. Sofern die Widerspruchsführer zur Begründung des Verstoßes auf die sukzessiv bereits erteilten Genehmigungen betreffend der Gesamtanlage (Hofgut, Reitsportanlage, Hotelkomplex, Restaurant etc.) verweisen, „greift dies nicht durch“, weil im vorliegenden Rechtsstreit nur die hier streitgegenständliche Baugenehmigung des Hofes Mengel beurteilt wird.

Hinweis: Der zuvor von der Stadtteilinitiative vorgetragene „Globalwiderspruch“ gegen die zusammenhängende Gesamtanlage der örtlichen Gewerbebetriebe wurde bereits zuvor als rechtlich unzulässig von der Stadt zurückgewiesen

Die von den Widerspruchsführern angeführte Argumentation, dass das Bauvorhaben im Zusammenspiel mit den weiteren Nutzungen des Hofgutes Dagobertshausen, Reitsportanlage etc. eine wesentlich intensivere Nutzung der Gesamtanlage nach sich ziehen wird, wird zurückgewiesen („An- und Abreiseverkehr werden einen für ein Hotel normalen Umfang auslösen“).

 

Zu 3: Die aus § 1 Abs.3 BauGB abgeleitete Verpflichtung für die Stadt Marburg einen qualifizierten Bebauungsplan für den bislang unbeplanten Innenbereich aufzustellen, kann nicht zum Erfolg des Widerspruchs führen

 

Nach § 1 Abs. 3 S. 2BauGB hat niemand einen Anspruch auf Aufstellung von Bauleitplänen und städtebaulichen Satzungen. Der Planungspflicht der Gemeinde gem. Abs. 3 S. 1 entspricht kein subjektives Recht des Bürgers.

 

Zu 4: Der Einwand der Widerspruchsführer, dass durch die streitgegenständlichen Bescheide sowie die Genehmigung des Gesamtkomplexes gegen die Ziele der Regionalplanung Mittelhessen verstoßen wird, greift nicht durch, da die Ziele der Regionalplanung keine drittschützende Wirkung entfalten

 

Es bleibt auch hier allein das Gebot der Rücksichtnahme (s.o.) maßgeblich. Entscheidend ist daher, ob die Widerspruchsführer aufgrund der konkreten Belastungswirkungen des Vorhabens als Nachbarn unzumutbar betroffen sind. Dies ist zu verneinen.

 

Zu 5: Da eine Verletzung von subjektiven Rechten der Widerspruchsführer nicht vorliegt, kann es eine Unbestimmtheit der Baugenehmigung nicht geben

 

Ein Verstoß der Baugenehmigung gegen das Bestimmtheitsgebot verletzt einen Dritten nur dann in eigenen Rechten, wenn sich die Unbestimmtheit gerade gegen Merkmale des Vorhabens bezieht, deren genaue Festlegung zum Schutz seiner subjektiven Rechte erforderlich ist.

 

Zu 6: „Auch die Rüge der nicht ordnungsgemäßen Beteiligung des Ortsbeirats geht ins Leere, da der Ortsbeirat dem Vorhaben – zwar mit Bedenken – aber dennoch zugestimmt hat“

 

Hinweis: Der OBR hatte seinerzeit zwar der vom 19.05.2020 (Az. BTB 326/2020) vorgelegten Abrissgenehmigung einiger Gebäude auf dem Mengelhof zugestimmt, nicht aber dem mit Bescheid vom 30.03.2021 genehmigten Bauantrag (Az. BTB 327/2021).

 

Die vom OBR vorgetragenen Bedenken wurden, soweit es für die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Rechtsnormen relevant gewesen ist, auch berücksichtigt und abgewogen. Jedenfalls würde hieraus auch kein Drittschutz erwachsen.